Vom Monoton-Cocktail – Chronik der Coronatage (14): Freitag, 27.03.2020

Unruhige Nächte. Die Situation infiziert bis in die Träume hinein. Leider keine Zeit, sie morgens aufzuschreiben. Die Kinder immer wieder zu uns ins Bett gekrochen, das geht auf den Rücken, da steh ich lieber schnell auf morgens. Und schwupps, sind sie aus dem Kopf, die Träume.

Draußen schärft die Sonne die Welt, als könnte man direkt sehen, wie die Luft besser wird – Frühlingsgefühle! Drinnen eher so herbstlich-bleierne Zeit. Bin einerseits recht nüchtern-gefasst. Zugleich irgendwie unruhig, Tiger im Käfig. Vorgestern Abend beim Einschlafen überfallartig eine halbe Stunde wildes Herzklopfen, einfach so.

Überlege, ob ich mich als Erntehelfer zur Verfügung stellen soll. Käme man auch ein bisschen mehr raus aus dem täglichen Einerlei.

Spahns Handy-Überwachungspläne wurden erstmal zurückgepfiffen. Für Viktor Orbán und manch anderen Autokraten längst zu spät – die werden von den Notstandsstrategien auch danach noch massiv profitieren.

Fallzahlen in OF-Stadt jetzt bei 17, Frankfurt bei 237. Erste Verflachungserfolge, heißt es, Zuwachsrate in D fast halbiert? Zugleich immer wieder warnende Worte: Wir stehen erst am Anfang.

Einschalten Umschalten kaum Abschalten. Staub unseres vermehrten zwischen Vierwändenseins setzt sich überall ab, scheint uns immer einen Schritt voraus.

Der zunehmende Druck der Isolation katalysiert auch die politische Debatte um die beste Pandemie-Strategie. Doch dem Herdenimmunitäts-Plan Schwedens und der Niederlande folgen? Doch Massentests durchführen wie in Südkorea?

Wo liegt die Grenze des Akzeptablen? Könnte man das doch einfach individuell anklickend zusammenstellen wie die Cookie- und Datenschutzerklärungen, die uns inzwischen auf jeder zweiten Webseite nerven – und meist nur so tun, als hätten wir eine Wahl.

»Corona-Verbrechen« nehmen zu: Online-Betrug, Phishing, erpresserische Hilfe-Apps, falsche Hausierer, Fälschungen von Medikamenten und Schutzkleidung, Diebstahl. Und die ersten beginnen ernsthaft, sich um’s letzte Klopapier zu kloppen.

Übrigens eben aktuelle Zahlen hierzu: 2019 gab es 1.620 Übergriffe gegen Geflüchtete und 128 gegen ihre Unterkünfte; 2018: 1.775 Übergriffe gegen Geflüchtete und 173 gegen Unterkünfte. Leichte Verflachungserfolge wenigstens also auch hier. Aber aufgrund welcher Gegen-Strategie jetzt genau?

Social Distancing bekommt da ein gewisses Geschmäckle.

Ach so, ja: Höckes verfassungsfeindlicher »Flügel« hat sich aufgelöst. Ein Ikarus-Fall ist dies darum leider noch nicht; personelle Konsequenzen gab es nicht.

Und wo wir bei den Lateinern und Griechen sind: Der Stier (erst Bulle, jetzt Bär) scheint die Dame Europa wieder von sich abschütteln zu wollen. Da bräuchte es dringend eine Bluttransfusion oder sowas. Vielleicht schreibt man zur Rettung in den noch kommenden Konjunkturprogrammen auch einen Ideen-Wettbewerb hierzu aus. Könnte doch was für die sogenannte Kreativwirtschaft sein, die wird jetzt eh nach jedem Halm greifen?!

Übrigens: Sonntag Zeitumstellung. Sollte die nicht abgeschafft werden? Auch hier wollte man doch einen »Flickenteppich«, diesmal unterschiedlicher Zeitzonen, hinter sich lassen.

Eins muss man dem Virus lassen: Es reißt den unbequemen Wahrheiten auch noch die letzten Verhüllungen vom Leib.


Gestern Abend und heute Morgen zur Hälfte weggeschafft: Robert Pfaller: Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie. Fischer, 2011.