Das UNsoziale Buch – Ein Einwurf zur E-Book-Kontroverse

Kaum ist die Buchmesse vorbei, rauscht es ganz schön im digitalen Blätterwald zum Thema E-Book. Vor allem nachdem Helge Malchow (KiWi) dem Verlags-Newcomer Amazon viel Glück wünschte. Unbedingt querzulesen ist die Diskussion bei Kathrin Passig auf Google+, einer meiner Lieblingskommentare dort von Guenther Hack:

Deutschsprachige Literatur unterhalb der durchdesignten Bestseller wird es schon in sehr kurzer Zeit nur noch als E-Book geben. In fünf Jahren, schätze ich mal.

Ist das jetzt ein hoffnungsvoller oder ein resignierter Ausblick? Ich weiß es nicht. Denn Amazon hat ja einen nicht geringen Anteil daran, dass vielfach alles sich nur noch nach dem Wunsch der Kunden richtet, wie Joachim Leser im buchreport-blog ausführt:

Ein Resultat dieser Konzentration: „Schwierige“ Titel, die vor Jahren noch Käufer im vierstelligen Bereich fanden, haben nur noch in wenigen Buchhandlungen die Präsenz, die zu entsprechenden Absätzen führen kann.
Neuerscheinungen verschwinden nach vier bis sechs Monaten wieder aus den Regalen. Der Mittelbau der Buchproduktion ist in den „Long Tail“ verschoben worden und findet nur noch den Kunden, der genau weiß, was er will.

Nun will der Kunde bekanntlich in erster Linie das, was alle wollen. Wie man an der kürzlich vollendeten Blogger-Liste der „Neuen 100 Lieblingsbücher der Deutschen“ sehr schön sehen kann. Wer aber verführt uns in der neuen E-Book-Welt dann noch zu all den anderen schönen entdeckenswerten Sachen, von denen wir nicht schon vorher wussten?

Klar kommen auch die Long-Tail-Autoren via E-Book vielleicht etwas besser weg als früher. Aber ob Filter und Meme oder virales Marketing wirklich reichen werden, aus einem Long-Tail-Werk das Ding herauszufiltern, über das die Literaturwissenschaftler, sagen wir mal, in dreissig Jahren auch noch reden werden? Das Problem ist heute ja, dass alles vielfach zugenommen hat: der Schrott genauso wie die tollen Sachen. Aber ob das E-Book wirklich etwas daran ändern wird, das der Schrott sowohl die breite Wahrnehmung, als auch die Einkommen beherrscht?

Ich finde beides befremdlich: die Abwehrgefechte der Verlage genauso wie den totalen Digitalisierungswahn so mancher Netzaktivisten. Woher werden nur all diese „Gewissheiten“ über das Kommende genommen? Ach so, ja, die Musikindustrie … So einfach liegen die Dinge aber nun mal nicht: Musik zum Beispiel war ja schon vor dem Internet zumindest digitalisiert, auf der CD nämlich. Von dort zu mp3 geht’s dann etwas schneller als vom 300-Seiten-Buch zu seinem Scan.

Kulturpessimisten jedenfalls könnten aus diesen simplen Analogien genauso gut eine Renaissance der Kurzgeschichte prognostizieren. So wie das Album zugunsten des Songs in den Hintergrund gerückt ist …. In dieses Horn jedenfalls bläst ein dann doch nachdenklicher stimmender Kommentar Lord Wurms zu Sascha Lobos sehr ausgewogen Feststellungen zur Buchsituation:

Bücher sind out. Ich kenne niemanden in meiner Umgebung, der noch ein Buch lesen möchte. Okay, vielleicht mal eine Runde AngryBirds. Aber ich würde AB nicht als Buch im engeren Sinne begreifen. Man kann es schließlich auch schlecht ausdrucken.
Bücher werden nur von Leuten gelesen, die ich als sozial gestört bezeichnen würde. Denkt mal drüber nach. Es stimmt!

Das trifft sich aber ungewollterweise bestens mit diesem Gedanken von Prof. Dr. Jan Krone auf netzwertig.com:

Letztlich steht das Buch in seiner gesellschaftlichen Position als Kulturgut gerade für eine ausgesprochen deutliche Form der De-Kommunikation, also der Deplatziertheit von Interaktivität.

Wo aber Kommunizieren/Interagieren fast schon zur Doktrin wird, könnte man ja wirklich meinen, das Buch als Breitenphänomen werde langfristig sowieso gerade von social media abgeschafft. Was andererseits aber doch seine Knappheit und Kostbarkeit als Träger von Bildung, kulturellem Erbe und ästhetischer Erfahrung wieder steigern könnte … Also doch E und U getrennter denn je? Ich träume ja nachwievor vom E-Pop-Zwitter, der massenhaften „E-Kultur“. Manchmal fürchte ich aber doch, Alban Nikolai Herbst könnte mit seinem Beharren auf eben das Getrennthalten doch im Recht sein. Vielleicht ist die Zeit auch einfach noch nicht reif für solche Träume. Herbst indes, der soeben die Buchausgabe seiner Kleine Theorie des literarischen Bloggens vorgelegt hat, ist einer, der die Zukunft auch von ästhetischer Seite her zu denken und praktizieren versucht. Dennoch (oder gerade deswegen) kommt er zu diesem Schluss. Und selbst bei ihm steht übrigens am Ende stets, wenn auch alles vorher durch seinen Blog und vieler Mitautoren Meinung ging: Ein Buch zwischen zwei Deckeln, in das jeweils einer sich allein versenken kann.

Vom „alten“ Buch also wollen wir immer die geglückte, mehr oder weniger ausgeprägte Weltflucht mit anschließend genauso geglückter Rückkehr. Bereichert um ein paar Erfahrungen/Erkenntnisse, von denen wir dann anderen berichten können. Das dann meinetwegen auch gern in einem social stream bei lovelybooks.

Schon darum werden wir es weiterhin brauchen, wenn wir Inseln des Rückzugs und der Selbsteinkehr vom Dauerfeuer vernetzten Arbeitens Sozialisierens Kommunizierens erhalten wollen. Deshalb finde ich die multimedial aufgebrezelten „Bücherformate der Zukunft“ wie epedio und libroid wirklich nur fürs Lexikalisch-Bildungsmäßige interessant. Der Wert des Buchs liegt in seiner Reduktion, denn die erst ermöglicht eigene Phantasie.

Nur um das Klarzustellen: Das E-Book wird kommen und vieles in der Branche über den Haufen werfen, nachzulesen bei Marcel Weiss auf neunetz.com. Auch ich bin hin- und hergerissen, ob ich mit meinen Wechselwetterwolken nicht gleichfalls stante pede die wildwuchernden Selbstvermarktungswege wandern soll. Die Debatte wird derzeit aber größtenteils von totalisierten Hoffnungen und panischen Verteilungskämpfen beherrscht. Hinten runter fällt, dass das E-Book vielleicht auch noch zu ganz anderem Mehrwert fähig wäre, als bloß dem geringerer Sperrigkeit. Auch Olaf Trunschke (VS) in der ZEIT moniert z.B.:

Die Möglichkeiten, die das digitale Medium bieten würde, also zum Beispiel mit Zufallsgeneratoren zu arbeiten, das aktuelle Tagesgeschehen einzubinden, sodass ein Leser am Abend einen anderen Text zu lesen bekommt als am Morgen – das könnte die heutige Literatur beeinflussen.
Genauso könnte das Wetter natürlich in eine Geschichte eingebunden werden, alles, was an Daten im Netz vorhanden ist, könnte eine Erzählung verändern. So etwas wird im Moment noch überhaupt nicht gemacht.

Okay, das stimmt nicht völlig, viele Browser/Hypertextprojekte der 90er legen frühes Zeugnis von solchen Versuchen ab. Doch wo einst künstlerische Aufbruchstimmung war, ist heute oft der Pragmatismus eingezogen. Dabei böte die Diskussion ums E-Book die Gelegenheit, mal wieder auch über neue Möglichkeiten der Verquickung von Form und Inhalt zu reden.

Worauf will ich hinaus? Eigentlich nur darauf: Das Buch als sozialer Rückzugsort wird weiterhin gebraucht. Oder sollte gerade in social-media-Zeiten mehr denn je verteidigt werden. Unabhängig davon, ob es digital ist oder analog. Das Digitale hingegen, wenn es nicht mehr sein will als eine bloße Bit-Kopie des bereits ziemlich perfekten Analog-Konzepts, verkauft sich ästhetisch unter Wert. Und schließlich: Jeder, der behauptet, er wisse, wohin die Branchenreise uns bald führen wird – wird auch hier wieder so manche unverhoffte Blase platzen, so manchen vermeintlich sicheren Tanker untergehen sehen.

(Dies am Rande, da ich ja Diener zweier Branchen bin: Frappierend ähnliche Debatten werden gerade auch um die Zukunft der Stadttheater ausgefochten, mehr dazu z.B. auf Nachtkritik. Auch hier läuft die Diskussion Gefahr, dass ein zu Recht in Teilen überkommenes System gleich vollständig für das freie Kreativunternehmertun geopfert werden soll. Das heißt aber eben auch: das neoliberal-prekäre Leben wollen. Wenn das nicht das Kinde mit dem Bade ausgeschüttet ist, dann weiß ich auch nicht, siehe hier.)

Der Wandel, er findet bereits statt und das ist gut so. Wer den Wandel aber auch gestalten und sich von ihm nicht nur umwälzen lassen will, sollte vielleicht auch ein paar Gedanken nicht nur an die technischen Fragen verschwenden: Wie und was an den neuen Möglichkeiten kann uns und unseren Nachkommen ästhetisch ethisch persönlichkeitsbildend weiterbringen? Wandel per se ist mir jedenfalls zu wenig; dieser nämlich trieb den Kapitalismus immer schon an. Und wohin der ohne Leitplanken steuern kann, hat sich ja mittlerweile selbst bis in die FAZ herumgesprochen.

Welche Verschiebungen zugunsten wovon wollen wir vorantreiben? Bzw. welche sollten wir eigentlich wollen?

Auch in der Bücherwelt der Zukunft sollten Werke möglich sein, die unsozial sind, im Sinne von: gegen uns gerichtet. Und gegen jeden Geschmacksfilter Interessensalgorithmus Best-Buy-Rank. Nennen wir sie bei dem alten Wort: Kunst. Die dient nämlich nicht allein dem momentanen Tauschwert, sondern überdies auch unserem kulturellen Erbe.


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Kommentare

Eine Antwort zu „Das UNsoziale Buch – Ein Einwurf zur E-Book-Kontroverse“

  1. Für die Diskussion auch noch zu lesen interessant sind Artikel bei Tom Hillenbrand, neunetz und leanderwattig