Der britische Regisseur Alan Parker ist ein Springer zwischen den Genres. Dass er mit seinem Ausflug ins Horror/Krimi-Fach gleich einen derartigen Höhepunkt dieses für ihn neuen Fachs abliefern würde, war bei seiner auch an Tiefschlägen nicht gerade armen Karriere kaum abzusehen. Die alte Geschichte vom Pakt mit dem Teufel wird in der Kreuzung mit den Zutaten der schwarzen Serie zu einem Werk, das seine Vorbilder nicht einfach imitiert, sondern selbst auf spätere Großtaten wie z.B. David Finchers „Sieben“ vorausweist. „Angel Heart“ setzte mit seiner atmosphärische Dichte, dem expressionistischen Licht-und-Schatten-Spiel, der dezent surrealistischen Bildsprache – und nicht zuletzt in den Darstellerleistungen markante Akzente. Die mitreißende Darbietung von Mickey Rourke war der Höhepunkt seiner jungen Karriere.
There is just enough religion in the world to make men hate one another, but not enough to make them love. (Louis Cyphre)
Ein Mann verschwindet in einer dunklen Gasse irgendwo im nächtlichen New York der 50er Jahre. Bässe blubbern im Hintergrund, begleitet von einem leise klagenden Saxophon. Eine Katze und ein streunender Hund werden auf etwas aufmerksam: die Kamera bleibt an der Leiche einer aufgeschlitzten Frau hängen. Schnitt, Tag. Der leicht heruntergekommene Privatschnüffler Harry Angel schlendert die Straßen entlang, während ein Telefon beharrlich im Ton-Vordergrund klingelt. Erst im Schnitt zu nächsten Szene wird klar: Es ist Harrys Büroanschluss – und dieser Anruf der Eintritt in den Fahrstuhl zur Hölle … Gleich in den ersten Minuten verbeugt sich Regisseur Alan Parker („Birdy“, „Mississippi Burning“) nicht nur vor dem klassischen Film Noir – und mit dem schicksalshaften Telefonanruf vor Sergio Leones „Es war einmal ein Amerika“ –, er zieht den Zuschauer auch sofort in eine Atmosphäre diffusen Unbehagens hinein. Das Böse, es dringt hier nicht von außen in die Welt: Es versteckt sich von Anfang an im Inneren des Selbst, wo es nur auf den richtigen Moment lauert – der in der schockierenden Offenbarung am Ende des Films dann auch kommt.
Der Plot ist wie immer bei dieser Art Geschichten rasch erzählt: Bar-Sänger Johnny Favourite ist verschwunden – und Harry Angel (Mickey Rourke) soll ihn im Auftrag des sinistren Louis Cyphre (Robert de Niro) ausfindig machen. Cyphre hat noch ein Geschäft mit Favourite zu erledigen, dessen Spur sich vor zwölf Jahren in den Wirren des Krieges verlor. Bei 125 Dollar Tagesgage lässt sich Angel nicht lange bitten. Doch scheint er vom Pech verfolgt: Jedes Mal, nachdem er einen Zeugen in die Mangel genommen hat, wird dieser kurz darauf Opfer eines blutigen Mordes. Die Spur führt auch bald ins schwüle New Orleans und in die dortigen Voodoo-Zirkel hinein. Hier begegnet Harry unter anderem der verführerischen Epiphany Proudfoot (Lisa Bonet), die zwar zu helfen verspricht, aber im Nebenberuf offenbar okkulte Bräuche praktiziert.
Harry verliert im Geflecht aus mysteriösen Personen und Morden zusehends den Überblick – und den Bezug zur Realität. Während er selbst unter Mordverdacht gerät, entwickelt sich der Fall zum persönlichen Horrortrip zwischen unerklärlichen Erinnerungsfetzen, Wiedergeburtsphantasien und satanischen Ritualen. Als sich die Zusammenhänge schließlich aufklären und in ein Ende münden, das dem tragischen Schicksal eines Ödipus nahe kommt, ist es bereits zu spät.
„Angel Heart“ basiert auf dem Roman „Falling Angel“ von William Hjortsberg. Parker hat sich jedoch einige Freiheiten gegenüber der Vorlage herausgenommen und u.a. Teile der Handlung in den stickigen Süden mit seiner geheimnisvollen Voodoo-Kultur verlegt. So wird es möglich, einen großen Teil der Spannung bereits aus der Atmosphäre der Sets und Drehorte zu ziehen, eine wirkliche Reise ins psychische und reale Herz der Finsternis zu inszenieren.
Überhaupt: die Herz-Metapher. Bereits die kleine Abweichung vom Original-Titel stellt sie ja in den Mittelpunkt. Aber Parker spart auch sonst nicht mit Verweisen, dass in seinem Film Gewalt immer im Zusammenhang mit dem inneren Zustand seiner Hauptfigur steht: Der Lösung unwissentlich nahe, entdeckt Harry in einer Szene das herausgeschnittene Herz Johnnys Ex-Geliebter Margaret Krusemark (Charlotte Rampling). Parker ist hier wenig zimperlich, was Einfallsreichtum und Drastik der gezeigten Körper-Zerstörungen angeht und spart auch nicht mit Blut. Sein inszenatorischer Schwerpunkt aber liegt in den teils ungewöhnlichen, klaustrophobischen Einstellungen, in denen sein Protagonist von den Schatten der New-Yorker 50-Jahre-Architektur umzingelt scheint. Das hat man in dieser Qualität zuletzt bei „The Man Who Wasn´t There“ der Cohen-Brüder gesehen. Dem hinzu gesellt sich noch eine symbolisch-albtraumhafte Bildmontage, die endgültig klarmacht, das Identität und Selbstfindung die eigentlichen Hauptthemen dieses Films sind: Immer wieder künden Ventilatoren den Tod an, gleiten die Schemen von Fahrstuhlschächten in die Tiefe und blitzt ein merkwürdig rot glühendes Fenster in einer Häuserfassade auf. Dies gipfelt schließlich in der berühmt-berüchtigten Sexszene zwischen Rourke und Bonet, in der alle Symbole zwischen von der Decke tropfendem Regenwasser, das sich in Blut verwandelt, noch einmal einen Reigen miteinander tanzen, der an die besten Momente eines David Lynch erinnert. Diese Szene sorgte in den USA für einen kleinen Skandal und musste dementsprechend um einige Einstellungen gekürzt werden: kurioserweise jene, in denen Rourkes Hintern zu sehen war…
Abseits davon ist „Angel Heart“ vor allem aber auch ein Schauspieler-Fest: in den wenigen gemeinsamen Szenen von De Niro und Rourke ist die befeuernde Konkurrenz der beiden Method Actor in jeder Einstellung zu spüren. Überraschender Gewinner des Duells ist dabei Rourke, der seinem Detektiv eine ungewöhnliche Vielschichtigkeit, Sensibilität und Wärme abgewinnt. De Niros Cyphre ist herrlich charismatisch-perfide: Legendär die Szene, in der er genüsslich vor Harry ein Ei pellt und verschlingt. Aber auch wenn dies bis heute eine seiner denkwürdigsten Nebenrollen darstellt, hätte sein Auftritt ruhig etwas zurückhaltender ausfallen dürfen. Rourke jedenfalls empfahl sich damit (nach „Im Jahr des Drachen“ und „9 ½ Wochen“) endgültig für Größeres – das sich dann bekanntlich leider nicht ohne Weiteres einstellte …
Ein glückliches Händchen bewies Parker auch für den restlichen Cast, der sich in zahlreichen, aber Dank der guten Vorlage nie langweiligen Dialogszenen so richtig austoben darf: Charlotte Rampling macht als geheimnisvolle Krusemark eine wie immer souverän-rätselhafte Figur und die junge Lisa Bonet spielt dermaßen natürlich und ohne Hemmungen auf, dass man sich wundert, warum dieser überraschend souveräne Auftritt des „Cosby-Show“-Familienmitglieds keinen deutlichen Karriereschub zur Folge hatte. Darüber hinaus gibt es Blues-Legende Brownie McGhee in einer schönen Nebenrolle: als Blues-Legende Toots Sweet.
Ausstattung und Ton geben sich trotz des verhältnismäßig geringen Budgets ebenfalls keine Blöße. Das Brooklyn, Harlem und New Orleans der 50er wird mit wenigen markanten und dennoch detailreichen Mitteln in Szene gesetzt. Und nach „Pink Floyd – The Movie“ zeigt sich Parker erneut experimentierfreudig in der Verknüpfung von Bild und Ton (Soundtrack – Trevor Jones): Ein Klavier-Schlager von Johnny Favourite klimpert als Haupt-Thema immer wieder leise im Hintergrund, bis Epiphanys überraschendes Summen dieser Melodie den Schlussakt einleitet. Dazu gibt es einiges an Herzklopfen … Überhaupt spielen gezielte Soundeffekte und Synthesizer-Klangflächen hier eine auffällig dominante Rolle. Da hat sich Parker wohl ein bisschen beim „Exorzisten“ bedient.
Damit das Ganze aber nicht zu aufdringlich gerät, wird dies angenehm kontrastiert und gerahmt von den Blues-Rhythmen der 40er und 50er Jahre. Später wird Parker seine Erfahrungen in der Verknüpfung von Film und Musik mit den „Commitments“ und „Evita“ noch weiter ausbauen.
Das Fehlen eines im Noir-Genre beinahe obligatorischen Erzähler-Voiceovers überrascht zunächst, macht aber nicht nur im Hinblick auf die Plotkonstruktion Sinn. Und Parker lässt es sich nicht nehmen, diese Tradition in einer Szene, in der Harry sein Tonband bespricht, zumindest einmal anzuzitieren. Schön auch die kleine Anspielung auf „Chinatown“: Harrys Sonnenbrillen-Nasenschutz ruft Erinnerungen an Jack Nicholsons Nasenpflaster wach.
Einen wirklichen Missgriff hingegen leistet Parker sich ganz am Ende. Leider gleich zweimal kommen da plakativ-farbige Kontaktlinsen zum Einsatz, um zu unterstreichen, dass Louis Cyphre doch irgendwie verdammt nach Luzifer klingt. Eine unnötige Kerbe in einer sonst ziemlich runden Sache. Zwar wird man mit einem wieder äußerst gelungenen Abspann entschädigt – der Gesamteindruck leidet dadurch dennoch.
Ich weiß, wer ich bin! Ich weiß, wer ich bin!
(Harry Angel)
Mit „Angel Heart“ lieferte Parker nicht nur einen der Höhepunkte seiner Karriere ab, sondern im gelungenen Crossover aus Raymond-Chandler-Krimi und faustischem Okkult-Horror auch den ersten Meilenstein eines neu geschaffenen Sub-Genres, der nicht nur in seinem bewegenden finalen Plot-Twist, sondern auch in seinem Inszenierungs-Stil Nachahmer fand. Der Film zeigt den jungen Mickey Rourke in Höchstform und ist trotz eines für heutige Thriller-Verhältnisse etwas gemächlicheren Erzähl-Tempos nicht nur für Genre-Freunde äußerst sehenswert. Mystery-Kino mit Verstand und Herz.
(8,5/10)