Von der Psychochoreografie – Chronik der Coronatage (6): Mittwoch, 18.03.2020

Gestern dann auch mal wieder im Supermarkt gewesen. Risikobewertung des Robert Koch-Instituts ja jetzt auf »hoch«. Auf dem Weg dorthin festgestellt, dass wir alle Teil eines Musicals geworden sind – nur ohne den Musikschmalz. Dafür gibt es permanent Tanzeinlagen. Anderthalb Meter Abstand führt auf den engen Bürgersteigen hier zu beständigen Ausweichbewegungen (bis auf die Straße!), über die zunächst irritierte, dann dankbare Blicke erwidert werden. Oder die Situation, wo zwei sich begegnen und nicht wissen, wer zuerst wo herum, also andeuten, zurückziehen, andeuten, zurückziehen … Ich hab als Jugendlicher Tanzstunden ausgeschlagen, weiß daher jetzt nicht, ob es dafür evtl. schon einen Namen gibt. Jedenfalls scheint es, als hätten wir uns in unsere hippen Staubsaugroboter verwandelt, die per Ultraschall jedes Hindernis um 2cm zu umgehen versuchen, was zu hilflos-possierlich wirkenden Moves führt.

Nur: Der Roboter spult dabei nur ein Programm ab. In uns, die wir umeinandertänzeln, laufen noch andere Prozesse. Jetzt wird in die Augen geguckt, gemutmaßt, gehofft, genickt. Jetzt treten wir, uns distanzierend, in Kontakt. Sehen über unseren Köpfen die Gedankenblasen schweben.

Nicht so der Pulk Jugendlicher, der an seinem Stammplatz vor der Parkbank rauchenderweise dicht zusammensteht; ihnen kann das Virus ja nichts, heißt es. Heute Abend wird ihnen Frau Merkel in ihrer Fernsehansprache sicher die Leviten lesen. Intonationslos-unterkühlt, wie sie das immer tut.

Ob’s wirkt?

Im Supermarkt mit seinen engen Regalreihen dann permanentes Umgehen ganzer Gänge, wenn sich jemand darin aufhält, an dem man, um an die begehrte Ware (kein Klopapier – Schokolade für die Nerven!) zu kommen, sich vorbeiquetschen müsste.

All diese Verlaufslinien von oben nachgezeichnet, ergäbe sich womöglich ein Bewegungsmuster, das man auch dem Kunstmarkt andienen könnte.

Interessanterweise schossen just heute Artikel über Handy-Bewegungsdaten positiver Getesteter als eine zeitgemäße Rettungsstrategie ins Kraut. China ist hier mit einer Tracking-App Vorreiter, natürlich – aber auch Korea und Israel wenden Ähnliches an. Dann würde mein Handy Alarm schlagen, wenn ein Infizierter vorbeiläuft, wie die gruseligen Blink-Blink-Bewegungsmelder in den Alien-Filmen. Das RKI erhielt von der Telekom gestern schon ein anonymisiertes 5GB-Datenpaket mit Bewegungsdaten von den Sendemasten; weitere werden folgen.

Was hat uns nicht diese DSGVO seit 2018 in Atem gehalten … wer wollte jetzt so kleinlich sein, an Datenschutzproblematiken zu erinnern …?

Nun denn, die Überwachung und Datenauswertung hat auch nur solange Sinn, wie noch Leute draußen unterwegs sind.

Noch dürfen ja Leute draußen unterwegs sein.

Bewegung kontrollieren und einschränken, keine Massenbewegung mehr zulassen, alles im »Krieg« gegen das Virus.

Schon richtig, aber auch Vorsicht: Dialektik, Alter!


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